Es ist ein fauler Sonntagabend nach einem hedonistisch zelebrierten Wochenende. Alles könnte so schön sein. Wir könnten Cola trinken und fernsehen und die Welt Welt sein lassen, uns über den Schnee vorm Fenster ärgern und uns darüber freuen, heute im Bett bleiben zu können. Aber etwas lässt mir keine Ruhe.
Ich kann sie nicht mehr hören, die abgelutschten, abstumpfenden Schlagworte, so oft genannt, dass sie jeden Inhalts, jeder Brisanz beraubt wurden. Die Milliardensummen, die zwingend notwendig, absolut unumgänglich dringendst investiert werden müssen, um dies und jenes zu retten, das dieser und jener kaputt gewirtschaftet hat, der dafür Millionensummen bekommt, wegen der Verantwortung und allem, und weil es keiner besser hätte kaputt wirtschaften können. Die Werbespots mit den schönen Menschen in den schönen Wohnungen, die zu schöner Musik ihren Lebenstraum verwirklichen sollen, und Versicherungen vertrauen sollen, und Tütensuppen kochen sollen. Die Nachrichten, die Skandale, die Betrügereien, die Privatisierungen, die Korruption, die Schuld der Anderen, die Lügen, die Ausnutzung, die Zensur, die Machtlosigkeit, die Arschlöcher.
Ich bin Teil dieses Systems und Du bist es auch. Wer vegan lebt, hat bereits einen teils schwierigen und schmerzhaften Erkenntnisprozess durchlebt, er oder sie hat die gleichen Diskussionen mit den unterschiedlichsten Menschen zigfach geführt, sich streiten müssen, sein Leben radikal ändern müssen. Und dann festgestellt: das war es wert. Es ist toll. Es geht mir gut, ich bin gesund, ich fühle mich besser, mein Gewissen ist reiner, ich bin für meine Überzeugung eingetreten.
Aber da hört es ja nicht auf. Man ist ja kein guter Mensch, weil man vegan lebt. Man fügt ja womöglich diesem wunderbaren Planeten mit seinen fragwürdigen Bewohnern nicht das kleinste bisschen weniger Elend zu als der Metzger nebenan. Wir konsumieren ja, den ganzen lieben langen Tag. Wo kommt das alles her? Wer produziert es, wo, unter welchen Bedingungen, auf wessen Kosten? Wer verdient daran? Wieviel?
Dies ist keine Verschwörungstheorie. Es ist kein Fingerzeig, keine Beschwerde. Es ist ein Aufruf. Wir wissen, dass ein T-Shirt keine 5 Euro kosten darf, und ein Joghurt keine 45 Cent. Dafür muss man nicht klug sein. Es hilft nicht, den teureren Joghurt zu kaufen oder das teurere T-Shirt, die Verpackung mit dem lachenden Indiomädchen und der Kuh auf der Wiese. Das nennt man Marketing, wir kennen es.
Gehe ich in die Politik, gründe ich eine Partei, werde ich Journalist, decke ich Skandale auf, stelle ich Fragen, bin ich unbequem, lehne ich ab? Ich boykottiere. Ich brauche den ganzen Scheiß nicht.
Ich meine nicht die totale Askese, das Leben von den Früchten der Natur, barfuß Laufen, im Fluß waschen. Ich bin ein Großstadtkind. Ich meine, verzichten. Hier und da. Immer ein bisschen mehr. Selber machen. Reparieren. Nachfragen. Besser machen. Auf die Konzerne scheißen. Meine Omas fragen. Neues lernen. Strom sparen. Besitz hinterfragen. Es gibt tausende schöne Ideen und Bewegungen. Ich schließe mich Ihnen an.
AUFRUF: BOYKOTT! Hinterfragen wir unseren Konsum, jeden Tag, an jeder Kasse. Hinterfragen wir, was wir brauchen, was wir haben, was wir wollen. Wir könnten viele sein und es könnte einen Unterschied machen.
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